Belarus 2012

Bericht über unsere Reise nach Belarus 2012

vom 17. bis 23. September 2012

Jetzt helfen

Wie in den vergangenen Jahren so sind wir auch in diesem Jahr (2012) nach Belarus (Weißrussland) gefahren, um die dort von uns eingerichteten Labore und die dort geleistete Laborarbeit zu kontrollieren, sowie auch Kinder auf ihre Hörfähigkeit zu untersuchen und gegebenenfalls Hörgeräte anzupassen. Unsere Reise dient aber auch dem Zweck, freund­schaftliche Kontakte zu pflegen, die sich im Laufe der Zeit zu den einheimischen Helfern entwickelt haben, denn sie erleichtern die Zusammenarbeit und erhöhen somit die Effektivität unserer Arbeit.

Die Anreise war zunächst wie immer mit der Angst belastet, dass wir am Hamburger Flug­hafen, wo wir am Montag gegen 19:00 Uhr eintrafen, wegen des großen Übergewichts unseres Gepäcks, zu dem auch ein Rollstuhl gehörte, Schwierigkeiten bekämen. Und diese traten auch ein, obwohl wir das Gepäck vorher angemeldet hatten. Aber nach vielem Hin und Her konnten wir das Gepäck schließlich doch einchecken und waren froh, diese Hürde genommen zu haben.

Die Nacht verbrachten wir in Hamburg im Hotel, um dann am nächsten Tag um 7:05 Uhr nach Minsk abzufliegen. Während eines zweistündigen Stopps in Wien stieß die Akustikerin

Barbara Gerber zu uns, so dass wir nun fünf Personen waren: Nico Mühlbacher, Gerlinde Konzok-Clausen, Barbara Gerber sowie mein Mann Paul-Martin Nissen und ich, Frauke Nissen. In Minsk angekommen hatten wir Glück, da wir keinerlei Schwierigkeiten beim Zoll hatten. Nach fünf Stunden Autofahrt kamen wir dann endlich müde in Kobrin an. Übernachtet haben wir in einer von der Schule für Hörgeschädigte angemieteten kleinen Wohnung in einem der übli­chen Plattenbauten.

Am nächsten Tag gingen wir gegen 9:00 Uhr zur Schule und begannen dort mit unserer Arbeit in einem Klassenzimmer und einem kleinen Computerraum. Nico und Paul Martin bauten den von uns mitgebrachten PC auf, mit dem wir die Hörgeräte program­mieren können, die digital eingestellt werden müssen (Noah Link). Dies bedeutet gegenüber den Jahren zuvor eine deutliche Verbesserung unserer Ar­beitsbedingun­gen, und gute Arbeit zu leisten ist unser Ziel, und zwar für beide Schulen, für die in Kobrin und die in Pinsk. Wie ein Gespräch mit Tanja, einer Lehrerin und Helferin im Labor ergab, gibt es diesbezüglich aber große Proble­me. Unsere Arbeit gibt den Schulen offenbar einen höheren Wert, eine größere Bedeutung, die von Wichtigkeit sein kann, weil möglicherweise eine der Schulen geschlossen werden soll, und zwar dann, wenn sie weniger als 90 Kinder hat. Darum besteht der Direktor der Schule in Pinks darauf, dass wir unsere Arbeit in Kobrin einstellen und nur noch in seiner Schule arbeiten. Er begründet dies damit, dass wir unsere Arbeit in Pinsk auf seine Einladung hin dort begonnen haben und seine Schule somit den größeren Anspruch hat. Wir werden seinem Wunsch nicht folgen. Wir werden neutral bleiben, denn uns sind die Kinder wichtig, unabhängig vom Schulort.

Ein weiteres Problem ist der Umgang mit Hörgeräten entsprechend dem Rat weißrussischer Ärzte. Wie uns berichtet wurde, bekommen hörgeschädigte Kinder Hörgeräte meistens erst nach einer langen Wartezeit und dann auch nur eines. Kommen die Kinder, ihrer Meinung nach, damit zurecht, wird ihnen nach zwei Jahren ein zweites angepasst und ihnen empfohlen, die Geräte nicht zu oft zu tragen und wenn, dann auch nur eines. Wenn dies so stimmt, ist die Empfehlung der Ärzte ein schwerwiegender, nicht wieder gutzumachender Fehler, da bei dieser Handhabung der Geräte diese letztlich ohne Nutzen sind, denn das Hörzentrum im Ge­hirn kann sich so nicht auf das Gerät einstellen. Dies ist nur bei dauerndem Tragen beider Geräte möglich. Das Hörve­rmögen nimmt mit zunehmendem Alter immer weiter ab und erreicht dann einen Zustand, der nicht mehr zum Besseren veränderbar ist. Darum werden wir jede Gelegenheit nutzen, Aufklä­rung zu betreiben. Im Frühling nächsten Jahres (2013) plant die Kobriner Schule für hörge­schädigte Kinder einen Informationstag, zu dem auch ein Flyer erstellt werden soll, der wich­tige Informationen zu Kindern enthält, die ein Cochlea-Implantat haben. Das Problem dieser Kinder, die in ihren ersten Lebensjahren nichts oder fast nichts hören konnten, ist, dass sie nun erst einmal lernen müssen, verschiedene Laute einer bestimm­­ten Bedeutung zuzuordnen, was normalerweise im frühen Kindesalter geschieht. Im Flyer enthalten ist auch eine Einladung zu einem kleinen Kongress von Ärzten, Lehrern und Eltern, für deren Fragen wir zur Verfügung stehen werden.

Hilfreich ist sicherlich auch, dass Paul Martin und ich nach Brest gefahren sind und so die Gelegenheit hatten, mit Tatjana ein Gespräch zu führen. Sie ist HNO Ärztin und Verantwort­liche für die Hörgeräteverteilung im Gebiet Brest. Sie zeigte sich für unsere Anliegen sehr offen und dies vor allem auch für unseren Vorschlag, für weißrussische Lehrer in Deutschland (Schleswig) eine spezielle Ausbildung zur Unterrichtung von Kindern, die ein Cochlea-Im­plantat haben, durch­zuführen, sowie auch in Kobrin und Pinsk spezielle Klassen für diese Kinder einzurichten.

Insgesamt haben wir in Kobrin 60 Kinder mit digital programmierten Hörgeräten versorgt. Außerdem wurden viele Hörgeräte kontrolliert und repariert. Unter diesen Kindern war auch Dascha, ein sechsjähriges Mädchen, das mit zwei Jahren Hör­geräte von uns bekommen hatte. Dascha kam mit ihren Eltern, um uns zu treffen, was für uns eine große Freude war. Es war beglückend zu sehen, wie gut sie sich entwickelt hat. Mit Hilfe der Hörgeräte kann sie auf eine reguläre Schule gehen und ist eine gute Schülerin. Wir hatten aber noch weiteren Grund zur Freude. Wir trafen weitere Kinder, die von uns als Kleinstkin­der ebenfalls mit Hörgeräten versorgt worden waren. Auch sie haben eine gute Entwicklung genommen. Sie können sehr gut sprechen, singen und tanzen. Als Dank für unsere Hilfe haben sie uns mit einem eigens für uns inszenierten kleinen Konzert überrascht, was uns sehr bewegt hat.

Unser Aufenthalt in Kobrin endete am Donnerstag. An diesem Tag fuhren wir gegen Abend mit einem Kleinbus noch nach Pinsk, wo wir von Irina, unserer wichtigsten Mitarbeiterin, und ihrem Mann Victor sowie der Dolmetscherin Valentina in Empfang genommen worden sind.

Am nächsten Morgen waren wir gegen 9:00 Uhr in der Schule für hörgeschädigte Kinder und wurden dort von einer Kinderschar und dem Direktor begrüßt. Anschließend gingen wir in den Kindergarten und versorgten dort 19 kleine Kinder mit neuen Hörgeräten. Während dieser Zeit hat Nico den PC für die digitale Einstellung der Hörgeräte aufgebaut und eingestellt, so dass die Hörgeräte programmiert werden konnten. Nach Abschluss dieser Arbeit gingen wir ins Labor, um dort weitere Kinder zu untersuchen, deren Hörgeräte neu einzustellen oder sie auch mit neuen Hörgeräten zu versorgen. Als wir dort ankamen warteten im Flur bereits 54 Kinder auf uns. Darunter waren auch zwei „Kindes Kinder“. Deren Müttern haben wir vor vielen Jahren, als sie zur Erholung in Niebüll gewesen sind, Hörgeräte gegeben. Wir freuten uns zu hören, dass die Hörgeräte es ihnen ermöglicht haben, am regulären Schul­leben teilzu­nehmen und die Schule erfolgreich zu beenden. Wir werden mit beiden Müttern in Kontakt bleiben und ihnen im nächsten Jahr spezielle Hörgeräte und auch Kontaktlinsen mitbrin­gen.

Diese und ähnliche Begegnungen zeigen uns immer wieder, wie wichtig unsere Hilfe ist und dies nun schon in der zweiten Generation. Es ist ein gutes Gefühl, allein in Pinsk in diesen Tagen 160 Kindern mit Hörgeräten zu helfen und ihnen somit ein normales Leben zu ermög­lichen - insgesamt sind es im Laufe von 17 Jahren viele hundert Kinder. Dafür haben wir von den Kindern und Eltern entsprechend ihrer Möglichkeiten viel Dankbarkeit erfahren, ausgedrückt in Worten oder durch den Wunsch, uns zu treffen und wiederzusehen, sowie mit selbst hergestellten kleinen Geschenken oder auch Tanz und Musik.

Am Samstag haben wir noch bis mittags gearbeitet und 17 Kinder mit Hörgeräten versorgt bzw. diese repariert. Anschließend trafen wir uns mit den sog. Suppenküchenkindern (s. Reisebericht 2011) und sind mit ihnen, wie im Jahr zuvor, in der Eishalle zum Schlittschuh­laufen gewesen und dann zum Essen, was durch eine zweckgebundene Spende möglich war. Die Spender waren in diesem Jahr Gerlinde Konzok-Clausen, Nico Mühlbacher und Barbara Gerber mit dem Wunsch, den Kindern in ihrem meistens sonst so lieblosen Leben eine beson­dere Freude zu machen. Der Abschied ist uns allen sehr schwer gefallen. Bedrückend war auch unser Gang zum Friedhof, zum Grab von Dima (19 Jahre), der sich im vorigen Jahr das Leben nahm, da er offenbar keinen anderen Ausweg aus seiner Situation gesehen hatte (s. Rei­sebericht 2011). Den Tag - es war unser letzter Arbeitstag - beschlossen wir dann mit einem Zusammensein mit Irina und anderen Barmherzigen Schwestern, deren Einsatz für die „Suppenküchenkinder“ nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Am nächsten Tag wurde gepackt. Danach habe ich dann noch zusammen mit der Dolmet­scherin Valentina den querschnittsgelähmten Wastja besucht (s. Reisebericht 2011), um zu sehen, wie es ihm zurzeit geht und was er vielleicht noch dringend braucht. Heute, beim schreiben des Reiseberichtes haben wir gerade erfahren, dass Wasja verstorben ist.

Den Nachmittag und Abend haben wir dann bei Irina und deren Mann verbracht, um mit ihnen, russischer Art und Gastfreundschaft entsprechend, feucht fröhlichen Abschied zu feiern. Um 20:00 Uhr fuhren wir zurück in unser Quartier und ließen die Tage noch einmal Revue passieren. Es war eine inhalts- und arbeitsreiche Woche mit sehr bewegenden Erlebnissen.

Nun freuen wir uns auf den Besuch der weißrussischen Kinder im Sommer, der vom 7.Juni bis zum 5.Juli 2013 geplant ist.

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